„Wenn das das einzige ist, was von Covid-19 bei mir zurückbleibt, bin ich dankbar.“ Die Kinderkrankenschwester, die seit 27 Jahren im Klinikum Saarbrücken arbeitet, zeigt auf eine ein Zentimeter kleine Narbe an ihrem Hals. Man muss genau hinschauen, um das weiße Narbengewebe überhaupt zu erkennen. Die Narbe stammt von einer Tracheotomie – einem Luftröhrenschnitt – und ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als die 49-Jährige beatmet im künstlichen Koma im Corona-Beatmungszentrum (Cobaz)des Klinikums Saarbrücken lag.
Aus Rücksicht auf die Familie verwenden wir keine Namen. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die diese Geschichte in der Ausgabe vom 15. Oktober 2020 erzählt, benutzt ein Pseudonym. Der Artikel ist hier nachzulesen.
Sie war damals die erste Patientin, die in unsere innerhalb einer Woche aufgebaute Intensivstation für Corona-Kranke verlegt wurde – eine maximale Belastung auch für das Pflege- und Ärzteteam, die sich um ihre Kollegin kümmerten – und sich natürlich um sie sorgten. Heute sagt sie, die normalerweise außerhalb des Krankenbetts die kleinsten Patienten versorgt: „Es belastet mich, wenn ich darüber nachdenke, dass ich plötzlich selbst hilflos dalag und auf Hilfe angewiesen war. Aber dass ich hier bei uns im Krankenhaus behandelt – und gerettet – werden konnte, war das Beste, was mir passieren konnte.“
Als sie im März 2020 mit Fieber und Husten krank wurde, dachte niemand – sie eingeschlossen – an Corona. Zuhause fühlte sie sich immer schlechter, bis es irgendwann so schlimm wurde, dass die Familie sie am 19. März 2020 mit dem Rettungsdienst in die Zentrale Notaufnahme bringen ließ, wo sie erst auf der Iso-Station 06 lag und dann sofort auf die Intensivstation 43 kam. Die älteste Tochter war zu diesem Zeitpunkt – immungeschwächt durch eine vorausgegangene Wirbelsäulen-OP – schon im Krankenhaus: Diagnose Covid-19, der Aufenthalt der 19-Jährigen sollte insgesamt zwei Wochen dauern. Auch der Ehemann war inzwischen positiv getestet worden, er blieb mit wenigen Symptomen und der jüngeren (nicht Covid-positiven) Tochter, 16 Jahre alt, in strenger Quarantäne zuhause.
Nach dem Koma
Das alles hat unsere Mitarbeiterin erfahren, als sie aus dem Koma erwachte – drei Wochen später. Diese Zeit fehlt ihr zwar in der Erinnerung, aber was ziemlich sicher ist, ist: Sie hat gekämpft – und gegen das Virus gewonnen. „Das letzte, an was ich mich erinnere, ist der Satz von einem Arzt: Ich gucke mir das noch eine Stunde an, dann intubiere ich Sie“, sagt sie. Zu diesem Zeitpunkt war ihr schon „alles egal“: „Die Atemnot war das Allerschlimmste. Ich wollte einfach nur, dass mir jemand hilft.“ Am Ende war sie drei Wochen beatmet worden, zuletzt über einen Luftröhrenschnitt. Die ersten verschwommenen Erinnerungen nach dem langsamen Aufwachen hat sie an die Intensivstation 10, wo sie nach dem Cobaz hinkam. Am 22. April 2020 durfte sie „gesund“ und covid-frei nach Hause. Oder in ihren Worten: „Ich bin nicht geheilt, ich habe überlebt.“
Mehrmals hatte sie seitdem versucht, ihre Station im Team Winterberg zu besuchen – die ersten Male musste sie abbrechen: „Mein Herz hat gerast, ich hatte Angst, ich konnte nicht herkommen.“ Aber auch hier zeigt sich die Kämpfernatur: Sie siegt über die Angst und besucht ihre Leute auf ihrer Station, traut sich sogar in die momentan stillgelegten Cobaz-Räume, wo sie drei Wochen lang um ihr Leben kämpfte. Ein wichtiger Schritt in Richtung Aufarbeitung.
Zuhause wurde der 49-Jährigen richtig bewusst, was eigentlich in den vergangenen Wochen passiert war. „Ich war fünf Wochen von meiner Familie getrennt“, sagt sie. Die wahnsinnige Belastung, die ihre schlimme Erkrankung für die Familie bedeutet hat, macht ihr zu schaffen. „Wenn ich nur darüber nachdenke, dass meine Familie quasi stündlich mit dem Schlimmsten rechnen musste – das macht mich fertig.“ Ein tröstender Anker: „Unsere Familie und viele Freunde haben meinem Mann und meinen Töchtern in dieser schwierigen Zeit zur Seite gestanden. In solchen Momenten sieht man – auch wenn das abgedroschen klingt – den Zusammenhalt und wahre Freundschaft.“
Heute hilft ihr ein Psychologe bei der nach einer so schweren Krankheit und künstlichem Koma notwendigen Aufarbeitung. Auch eine Reha steht an – in einer Ostsee-Klinik, die sich auf die bekannten Post-Corona-Symptomatiken spezialisiert hat: Schlafstörungen, Schulter-Nacken-Problematik durch die Bauchlagerung, Panikattacken, Alpträume. Sie hofft, dass sie bald wieder aktiv zum Team Winterberg gehören kann: „Ich hab totale Sehnsucht nach der Arbeit.“
Retrospektiv fühlt unsere Kollegin einfach nur Dankbarkeit. „Meine Einstellung zu vielen Dingen hat sich absolut geändert“, sagt sie: „Man kommt als anderer Mensch aus so etwas raus. Es macht etwas mit einem, wenn man weiß: Das hier war maximal knapp.“