Auch für die Fachbereiche, die nicht unmittelbar in die Versorgung von Corona-Patienten eingebunden waren, begann ab Mitte März 2020 eine schwierige Zeit. Dr. Dr. habil Gregor Stavrou, Chefarzt der Klinik für Allgemein- & Viszeralchirurgie sowie Chirurgische Onkologie mit einem nachdenklichen Blick auf die vergangenen beiden Pandemie-Jahre:
„Zu Beginn hatte ich große Sorge um meine jungen Ärzte, die die Mannschaft unseres Corona-Beatmungszentrums verstärkt haben. Ich habe schlecht geschlafen in der Zeit – es war noch wenig über das Corona-Virus bekannt, es gab keine Impfung und Schutzausrüstung war seinerzeit ein rares Gut.
Die Absage aller planbaren OPs und damit einhergehend auch vieler diagnostischen Untersuchungen war für unser Fach (eigentlich eher für die Patienten) eine Katastrophe, insbesondere natürlich für die Krebspatienten, die wir behandeln, aber auch für viele Patienten mit einschränkenden Befunden. Es galt im ersten Lockdown bundesweit die Devise, dass nur medizinisch absolut notwendige Operationen stattfinden dürfen. Wir haben trotzdem alles gegeben, gerade Tumorpatienten zeitnah zu operieren.
Das waren Operationen unter „verrückten“ Umständen. Die Angst operierte immer mit – wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, wie hoch das Risiko ist, sich z.B. bei einer Laparoskopie (Bauchspiegelung) selbst anzustecken. Absaugfilter und andere Ausrüstung waren binnen Tagen weltweit ausverkauft bzw. nur sehr schwer zu beschaffen.
Das „Highlight“ unseres Teams in dieser düsteren Zeit war folgender Fall: Eine junge Frau mit einem bereits in die Leber gestreuten Papillen-Karzinom (Krebs an der Einmündung des Gallengangs in den Zwölffingerdarm) aus der benachbarten Grenzregion Grand Est schaffte es über Umwege zu uns zur Operation. Die Grenzen nach Frankreich waren zu dieser Zeit geschlossen. Unser Team machte eine anspruchsvolle Whipple-OP plus Leberresektion, ohne ein Intensivbett nutzen zu müssen. Die Patientin blieb danach stabil und konnte in gutem Zustand nach acht Tagen entlassen werden. Das war für uns ein wahnsinnig tolles Gefühl. Ein Gefühl von: Wir konnten, trotz aller Widrigkeiten, jemandem helfen.
Im weiteren Verlauf der Wellen gab es immer wieder Aufs und Abs, eine Zerreißprobe gerade für uns Chirurgen. Immer wieder kam es, weil Kapazitäten für die Versorgung von COVID-Erkrankten bereitgestellt werden mussten, zu Engpässen in der OP-Kapazität, Verschiebung von Eingriffen, auch weil die zu operierenden Patienten selbst positiv wurden und so gar nicht erst zum geplanten Termin aufgenommen werden konnten.
Wir sahen über die Monate immer mehr Patienten mit fortgeschrittenen onkologischen Befunden, denen man keine Heilungschance mehr bieten konnte.
Vor- und Nachsorgeuntersuchungen sind in der Pandemie in den Hintergrund getreten, auch Ängste der Patienten vor Infektion haben gerade in den ersten Monaten der Pandemie eine große Rolle gespielt.
Der Start der Impfkampagne rund um den Jahreswechsel 2020/21 ließen uns etwas durchatmen, ich dachte: Es wird für uns schon gutgehen. Gleichzeitig merkte ich, dass mein Team unruhig wurde – die Weiterbildung litt, weil weniger Operationen durchgeführt wurden und die Fortbildungen und Kongresse erst komplett abgesagt wurden, später zwar online aufgenommen wurden, was aber nicht vergleichbar ist. Der Austausch und die Weiterentwicklung traten in den Hintergrund, das ist gerade für uns Chirurgen ein schlimmer Zustand.
Als das Team geboostert war, fühlten wir uns deutlich sicherer, dennoch kam es auch in unseren eigenen Reihen zu Infektionen – die aber bei allen in meinem Team glücklicherweise ohne größere Probleme verliefen.
Ich fragte und frage mich oft: Wird es jemals wieder normal, bzw. was wird das „neue Normal“? Wir schöpfen Hoffnung – aber gerade für Tumorpatienten sind die Folgen der Pandemie teils düster. Seitens der Deutschen Krebsgesellschaft wird nach ersten Analysen eine relevante Verschlechterung des Outcomes formuliert und auch international so interpretiert - die endgültigen Daten dazu werden wir erst in zwei bis drei Jahren sehen.
Nach mehr als zwei Jahren Pandemie erleben wir ein angeschlagenes System Krankenhaus, gezeichnet von Personalmangel und Überlastung. Vermutlich dauert es noch lange, bis wir wieder in normalen Gewässern segeln.
Richten wir gemeinsam unseren Blick nach vorne und rücken wir vor allem unsere Patienten wieder mehr in den Fokus."