Ein Team des Forschungsbereichs „Eingebettete Intelligenz“ des DFKI Kaiserslautern und ein Ärzteteam des Klinikums Saarbrücken entwickeln derzeit neue Methoden für Assistenzsysteme im OP-Saal, die auf AR (Augmented Reality) basieren. Mit der dreidimensionalen Darstellung, die über eine spezielle Brille auf den Operationsbereich projiziert wird, werden so Operationen an der Bauchspeicheldrüse unterstützt.
Prototyp auf dem Winterberg im Einsatz
Der Prototyp der Brille war bereits mehrfach als flankierende Maßnahme zu Evaluationszwecken auf dem Winterberg im Einsatz. Chefarzt Dr. Dr. habil Gregor Stavrou sieht das System als wertvolle Hilfe, betont aber vor allem den positiven Effekt auf die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten: „Das ist ein Gamechanger.“
Das gemeinsame Forschungsprojekt hat das Ziel, Chirurgen für ihre Arbeit im OP ein interaktives Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Dieses erlaubt, noch präziser zu arbeiten und die vorhandene Anatomie im Operationsbereich besser wahrnehmen und einschätzen zu können.
Operateur wird mit zusätzlichen Informationen versorgt
Das vom Forschungsbereich „Eingebettete Intelligenz“ entwickelte Assistenzsystem zeigt die Gefäße und Organe von Patienten als 3D-Modell.
Dieses ist jederzeit variabel anpassbar und immer individuell, zeigt also beispielsweise die reale Lage eines Tumors und seine Verbindungen zum Gefäßsystem oder anderen Organen – dies sind wichtige Informationen für den Operateur.
3D-Modell bringt alle bildgebenden Daten zusammen
In das 3D-Bild integriert werden alle vorliegenden bildgebenden Daten, zum Beispiel aus dem CT, dem MRT oder dem Röntgen, die jederzeit bei Bedarf ein- und ausblendbar sind.
„Ich kann individuell entscheiden, welche Zusatzinformationen ich sehen möchte und welche nicht, welche ich brauche und welche nicht – es ist quasi wie die Karte eines Navigationssystems im Auto“, sagt Dr. Dr. habil Gregor Stavrou, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie, Chirurgische Onkologie des Klinikums. Damit könne die Entscheidungsfindung bei einer OP maßgeblich unterstützt werden.
Er und sein Team haben das Assistenzsystem bereits mehrfach getestet, zuletzt unter anderem bei einer komplexen Operation zur Entfernung eines bösartigen Tumors an der Bauchspeicheldrüse, bei dem eine Hauptschlagader umgeleitet werden musste.
Kürzlich konnten bei einer 82-jährigen Patientin Teile der Bauchspeicheldrüse entfernt („Pankreaslinksresektion“) werden, die Operation war auf Grund der Tumorlage in Bezug zu den Gefäßen, die Milz und Darm versorgen und anatomische Varianten aufwiesen, anspruchsvoll. Durch die Unterstützung des Systems gelang es problemlos, den Tumor zu entfernen, ohne die Milz zu entfernen und ohne die Gefäße im Umfeld zu schädigen.
Weniger OP-Stress, bessere Übersicht der Anatomie
„Unter anderem deshalb haben wir die Studie mit initiiert. Der Antreiber war die Idee, die komplexe Anatomie der Organe übersichtlicher zu machen und dadurch vor allem bei schwierigen Fällen das Risiko für Komplikationen oder schlicht Fehler zu minimieren“, erklärt der Chefarzt.
Zudem sei es als Vorbereitung auf die OP extrem wertvoll: „Die OP-Vorbereitung wird einfacher, weil man am Tisch jederzeit viele Infos vorliegen hat und sich einblenden oder ausblenden kann, zum Beispiel aktuelle CT-Bilder. Das hilft, um die anatomischen Strukturen, die immer individuell sind, schneller zu begreifen, sicherer zu präparieren und zu operieren. Dies nimmt eine gute Portion Stress aus der OP-Situation“, sagt Dr. Dr. habil Gregor Stavrou nach den bisherigen Testläufen.
Gamechanger in Sachen Ausbildung
Insbesondere für die Ausbildung des Ärzte-Nachwuchses sieht der Chefarzt hier viele Einsatzmöglichkeiten und Vorteile: „In der Ausbildung wird das ein Gamechanger für mich. Der Nachwuchs kann so viel einfacher lernen, komplexe Präparationen durchzuführen. Wir sind mit diesem Projekt ein Teil der Zukunft. Das System wird sich in der Ausbildung durchsetzen und das Leben leichter machen. Noch funktioniert es nicht perfekt, aber daran arbeiten wir. So, wie es jetzt ist, ist es schon ein echter Fortschritt.“
"Solche Einblicke sind von unschätzbarem Wert"
Nicht nur für die Chirurgen im OP, auch für die Wissenschaftler des DFKI ist die Studie hochinteressant: Durch die Kooperation mit dem Klinikum können sie ihre entwickelten Anwendungen in der realen Chirurgie beobachten, evaluieren, Interviews nach den Eingriffen führen und dadurch wichtige Forschungsdaten gewinnen.
„Solche Einblicke in die Praxis sind für uns von unschätzbarem Wert“, sagt Projektleiterin Hamraz Javaheri, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFKI-Forschungsbereich Eingebettete Intelligenz unter Leitung von Prof. Dr. Paul Lukowicz. Sie hat das Assistenzsystem maßgeblich mit entwickelt und ist bei jedem Einsatz im OP dabei, um wertvolles Wissen aufzufangen und damit das System immer weiter zu verbessern.
Auf Basis der bisherigen praktischen Erfahrungen wird das AR-System nun sukzessive verbessert und soll schon bald in neuen klinischen Studien evaluiert werden. Durchgeführt und gefördert wird das Projekt im Rahmen des europäischen Exzellenz-Netzwerks HumanE-AI-Net.
In den Medien: "Medizin der Zukunft"
Mehr über das Thema erfahren Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Saarbrücker Zeitung vom 28.12.2023. Hier finden Sie den Artikel "Winterberg-Klinikum erprobt bei OPs jetzt Künstliche Intelligenz – 82-Jährige erfolgreich operiert".